Die studentische Fachschaft



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Die studentische Fachschaft

Die Fachschaft

Als Student bzw. Studentin heutzutage kann man es eigentlich niemanden mehr recht machen. Die Alt-68er in der Verwandtschaft beklagen sich, daß in den Universitäten keinerlei politische Arbeit mehr geleistet wird, die Politiker jammern, daß die Studierenden viel zu lange ihren Abschluß verzögern und nicht geradlinig genug lernen, und die Professoren konstatieren, daß die wissenschaftliche Wissensbasis und Ausbildungsbreite immer mehr einschrumpft. Unzählige Maßnahmenkataloge prasseln auf den Durchschnittsstudierenden nieder, die ihn immer schneller durch immer mehr Vorlesungen zu immer schwerer werdenden Abschlußprüfungen schleusen sollen. Kein Wunder, daß er oder sie letztendlich keine andere Wahl mehr sieht, als sich Tag und Nacht hinter Bücherbergen zu verstecken, um den immer schneller dem Horizont zustrebenden Stoffumfang der Vorlesungen noch vor dem Klausurtermin wenigstens in Sichtweite zu bekommen.

Daß dabei alle anderen Betätigungen auf der Strecke bleiben müssen, ist nachvollziehbar, genauso die Ansicht, daß die Universität eigentlich nicht mehr ist als eine verschärfte Version des Gymnasiums, bei der man bei Fehlen keine Entschuldigungszettel mehr abgeben muß. Es gibt aber dennoch einige Studierende an dieser Fakultät, die der Ansicht sind, daß Universität eben mehr bedeutet als bloßes Paukstudio. Neben einem Arbeitsraum sollte sie nämlich für die fünf oder sechs Jahre eines Studiums auch Lebensraum sein, d.h. ein Ort, an dem nicht nur über Prüfungsrelevantes, sondern auch über allgemeingesellschaftliche Probleme nachgedacht wird, ein Ort, an dem man Freunde trifft, schließlich ein Platz, den man gerne besucht. Diese Handvoll Leute wird allgemein Fachschaft genannt, eigentlich zu Unrecht, denn Fachschaft sind im Grunde alle Studierenden eines Fachbereiches. Deshalb bezeichnen sie sich selbst gerne als aktive Fachschaft. Dieser Beitrag handelt davon, was diese Fachschaft versucht und was sie erreicht hat, um diesem Fachbereich zu mehr Lebensqualität zu verhelfen.

Ihr nach allgemeiner Einschätzung wichtigster Erfolg war sicherlich die Einrichtung einer selbstverwalteten Cafeteria in unserem Institutsgebäude im Jahr 1990, dem Café Gumbel, benannt nach dem deutschen Mathematiker Emil Julius Gumbel (1891-1966), der mit einem Buch über politische Morde in der Weimarer Republik bekannt wurde, und nicht nur deshalb 1932 vor den Nationalsozialisten ins Exil flüchten mußte. Eigentlich war eine Cafeteria seit Anfang an in unserem Institut geplant, tatsächlich geschah aber sehr lange nichts. Bewilligungsanträge wurden vom Kultusministerium immer mit dem Hinweis auf fehlende Geldmittel abgelehnt, außerdem sollte auf dem Parkplatz hinter dem Institut ein großes Universitätsgebäude errichtet werden, in dem Platz für eine Cafeteria wäre. Als sich diese Pläne jedoch zerschlugen (das avisierte Genforschungszentrum steht mittlerweile in Großhadern), nahmen die Studierenden, die schon länger unregelmäßig provisorische Cafés veranstaltet hatten, die Sache ein wenig rigoroser in die Hand: Während des großen Unistreiks Anfang '89 wurde kurzerhand ein Raum im Institut besetzt, um auf diesen Mißstand hinzuweisen. Nach einigen Verhandlungen mit Institut und Universitätsleitung war dann endlich alles geregelt. Die Studierenden erhielten einen Raum als Cafeteria, mußten sich aber wegen personeller und finanzieller Engpässe des Studentenwerks selbst um die Versorgung kümmern. Als selbstverwaltete Cafeteria besteht das Gumbel nun seit 7 Jahren und wird vom Café-Projekt betreut. Trotz einiger Klagen über die mangelhafte Aufräum- und Abspülmoral hat sich das Café Gumbel zu einem unentbehrlichen Treffpunkt an unserem Institut entwickelt, nur Professoren sieht man leider dort selten.

Eine weitere Initiative, mit der die Fachschaft versucht, das Institut auch einmal von einer anderen Seite zu beleuchten, ist die jährliche Durchführung des ,,Dies Mathe-Physikus`` zusammen mit der Fakultät für Physik - seit einiger Zeit in guter Zusammenarbeit mit den Professoren. An diesem Tag finden Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen statt, die die wissenschaftlichen und studentischen Aspekte der Hochschule unter einem anderen Blickwinkel beleuchten sollen. Besonderes Interesse fanden natürlich die Diskussionen mit Vertretern der Industrie und des Arbeitsamtes zu den Zukunftschancen der Absolventen, aber auch Vorträge über die Verantwortung des Wissenschaftlers oder über die Rolle der Naturwissenschaft im Dritten Reich waren zahlreich besucht.

Eine wichtige Rolle spielen auch die Arbeitskreise (AK) der Fachschaft zu verschiedenen aktuellen Themen: So setzte sich der Arbeitskreis Rad für eine Verbesserung der Lage der Radfahrer ein, sei es für die Radwege in der Leopoldstraße oder die Radspur in der Arcisstraße, sei es für größere verkehrspolitische Konzepte wie Studententicket oder verkehrsberuhigte Innenstadt. Der AK Lehramt setzt sich immer für die Rechte der Lehramtsstudierenden ein, die in vieler Hinsicht die Stiefkinder an unserem Institut sind, obwohl sie im Moment die zahlenstärkste Gruppe darstellen. Nicht unerwähnt bleiben sollten auch der AK Müll und der AK 3.Welt, die im Zuge des Müllvolksbegehrens 1991 bzw. des Weltwirtschaftsgipfels in München 1992 entstanden sind.

Da die Fachschaft aus Leuten besteht, die sich nicht ausschließlich hinter Büchern verstecken wollen, wird jedes Jahr ein- bis zweimal ein rauschendes Fest im Institutsgebäude gefeiert, das auch den letzten Ignoranten davon überzeugen kann, daß Mathematiker durchaus auch zu feiern verstehen. Sogar Professoren sollen dort schon um 3 Uhr morgens gesichtet worden sein, beileibe nicht bei der Vorbereitung von Vorlesungen.

Auch in der Hochschulpolitik und uniintern war die Fachschaft stets bemüht, eine Verbesserung der Studiensituation zu erreichen, beziehungsweise, bei der grassierenden Finanzknappheit der letzten Jahre häufiger: eine Verschlechterung zu verhindern. Dem im Verbund mit den Professoren geführten, langjährigen Kampf gegen die Regelstudienzeit war dabei letztendlich leider kein Erfolg beschieden, der politische Druck war einfach zu groß.

Durch die regelmäßige Veröffentlichung von Vorlesungskritiken um institutsinternen Fachschaftsorgan ,,Einstein`` soll eine Transparenz des Lehrbetriebs ermöglicht werden, und die Kommunikation zwischen der Professorenschaft und den Studierenden vorangetrieben werden. Um den Neueinsteiger den Start etwas zu erleichtern, wird jedes Jahr ein Semestereinführungstag veranstaltet, und wenn die Prüfungen dann einmal vor der Tür stehen, hilft die umfangreiche Prüfungsprotokollsammlung, die inzwischen unentbehrlich geworden ist.

Oft rennt man als Fachschaftsvertretung gegen Wände, und schlimmer noch ist es, wenn die Arbeit manchmal überhaupt nicht beachtet wird. Aber abseits von allen politischen Erwägungen kann man bei der Fachschaftsarbeit auch einiges lernen, und schließlich und letztendlich macht es doch viel Spaß, und hin und wieder erreicht man auch etwas.




Hauber
Wed Nov 20 16:14:16 MET 1996