next up previous
Next: 1. Frage Up: Gedanken über das Previous: 3 Fragen

Vorüberlegung

Physik im modernen Sinne, d.h. im Sinne einer mathematisch theoretischen Beschreibung wurde bereits vorsokratisch gedacht. Das bedeutet, daß physikalische Abläufe einer mathematischen Gesetzmäßigkeit unterliegen. Ich denke, man kann das so sagen: Daß sie dem Heraklitschen Logos gehorchen. Ich sehe Heraklit als Begründer der modernen Physik. Zeitlich und logisch vor ihm ist Parmenides, der eine existierende Welt sieht und das so sagt: IST ist und NICHT IST ist nicht. Man kann dazu viel sagen, aber es wird von Parmenides nicht mehr und nicht weniger erkannt, als daß etwas da ist, unabhängig davon, ob wir es wahrnehmen und das, was wir von dem IST wahrnehmen, ist durch das IST bewirkt. IST ist alles was da ist. Und es gibt nur das IST und das NICHT IST, nichts zwischendrin. Das erscheint absolut primitiv und nicht wert, gesagt zu werden. Aber in Wirklichkeit ist es ungeheuer schwer zu sagen, das etwas ist. Man sagt leicht dahin: Das ist das Reale, oder das ist die Realität und daß man in der Physik die Realität beschreibt. Ganz schlimme Ignoranten sagen: Die Ergebnisse der physikalischen Theorie werden mit der Realität verglichen. Und gerade im Licht der Quantenmechanik und der unseligen Diskussion ihrer Interpretation sagt Parmenides ungeheuer viel. Denn Realität ist ein leerer Ausdruck. Was ist denn damit gemeint? Das IST des Parmenides? Wir müssen Folgendes tun, um den vorsokratischen Gedanken gerecht zu werden. Wir müssen den damaligen Denkern zugestehen, daß sie mindenstens genauso gut denken konnten wie wir heute. Was wir an technischen Mitteln mehr zur Verfügung haben, an Mathematik oder auch Physik, hilft uns nicht klarer zu denken, wenigstens nicht in den Sachverhalten, die grundlegend sind. Wir müssen Parmenides zugestehen, daß die Erkennung von IST als einzig sinnvolle Grundlegung des Begreifens des Kosmos eine Denkleistung ist. Und das bedeutet auch, daß Parmenides sich der Schwierigkeit zu sagen, was IST ist, nicht nur bewußt war, sondern daß seine Größe als Denker darin bestand, bereits zu begreifen, daß IST ist, das einzige ist, was man kurz oder lang sagen kann, um dann fortzufahren mit den Konsequenzen: IST ist gleich dem gedachten IST und auch gleich dem gesprochenen IST. Das bedeuted, wir haben nur die Möglichkeit der heiligen Schau, des denkenden Begreifens, um dem IST näher zu kommen, das IST gibt es nur einmal, nämlich durch unser Gedachtes (und dann auch Gesagtes oder Geschriebenes). Anders: Es gibt kein weiteres IST, daß uns zugänglich wäre, und mit dem wir unser Gedachtes IST vergleichen könnten. Unser Gedachtes kann sich als falsch herausstellen, dann haben wir falsch gedacht, und das sehen wir daran, daß wir etwas anderes erfahren, als wir gedacht haben wir erfahren sollten. Parmenides sieht dies, sieht das unsere Einsicht über das IST nur über die Sinne und das Denken sich begründet, und darum muß er sagen und daran festhalten: IST ist. Keine Frage. Aber weiter: Die Bewegung, die Veränderlichkeit von Sachverhalten mit der Zeit sind nach Parmenides nur scheinbar, denn IST ist statisch, einfach da und unveränderbar. Daß dies so richtig verstanden ist, zeigen auch die Warnungen des Zenon, daß Bewegung unbegreifbar ist. Was Parmenides sich genau vorgestellt hat, ist mir relativ unwichtig, wie man sich so etwas (unter Ausschluß unseres Bewußtseins, und mit diesem Ausschluß werde ich Parmenides natürlich nicht gerecht) vorstellen kann ist z.B. die vierdimensionale Raumzeit mit den darin enthaltenen Weltlinien von Dingen. Da bewegt sich nichts! Nun aber weiter. Heraklit erscheint fast wie ein Ketzer, indem er die Bewegung (=alles fließt) als Grundlage der Naturbeschreibung erklärt. Ich habe lange Zeit auch so gedacht, insbesondere kann man ja Zenon's Bewegungsparadoxien als Parmenides' Verteidigung ansehen, und das rückt dann Heraklit noch mehr in das Licht eines angreifenden Kritikers. (Diese Interpretation der Situation mach nur Sinn, wenn Heraklit zeitlich nach Parminedes kommt, was nicht verbürgt ist.) Allerdings begreife ich jetzt Schadewaldt's Ausführungen zu Heraklit besser (der sich da ganz auf die Ausführungen von Fränkel bezieht, vergleiche [2]), und das ergibt ein ganz anderes Bild. Ich bleibe zuerst bei der Bewegung. Die Idee ist, daß Veränderung (Bewegung) der zu erklärende Gegenstand der heiligen Schau wird, und damit muß Heraklit das Bewußtsein (den freien Willen) aus der Naturbeschreibung herausnehmen, er muß die Existenz der externen Welt annehmen, der unbelebten und dennoch sich bewegenden Natur, und er muß denken, daß auch diese (unbeseelte) Natur sinnvoll ist, d.h., daß diese Natur gesetzmäßig beschreibbar ist. Man kann darum auf die Idee kommen, daß bei Heraklit der Kosmos nicht mehr die ganze Einheit, Bewußtsein und Natur, ist, sondern nur die unbelebte Natur. Aber was ist dann mit dem wahren IST des Parmenides? Wie kann man das außer Acht lassen? Schadewaldts Referat der Fränkelschen Erklärung ist überaus erhellend. Heraklit formulierte bereits in einer mathematischen Art Proportionen, Verhältnisse (wie übrigends --intuitiv--auch nur Veränderung (=Bewegung) erfaßt werden kann). Der Mann gilt vor Gott als kindisch wie der Knabe vor dem Mann. Dies sollen wir als Verhältnis lesen,

Gott : Mann=Mann : Kind,

das bekannte Verhältnis zwischen Knabe und Mann wird benutzt, um zu sagen, was Gott ist. Nun muß ich hier den besser Wissenden folgen und glauben, daß nicht folgendes gemeint ist: Wie der Knabe zum Mann werden kann, so kann auch der Mann gleich Gott werden. Das ist ja naheliegend, und das wäre genau die Auffassung der neuzeitlichen Philosophie. Aber das ist ungriechisch, d.h. wir dürfen das Gesagte nicht überdeuten. Es ist nur das Verhältnis gemeint, das momentane Verhältnis, in dem der Knabe und der Mann verschieden sind und daraus bekommen wir, daß uns Gott (die zu erklärende Größe) so unerreichbar ist, wie der Mann dem Knaben. Nun zum Kosmos, über den Heraklit sagt, daß der schönste Kosmos wie ein ungeordneter Haufen Unrat sei. Also haben wir das Verhältnis

X : Kosmos=Kosmos : Haufen Unrat.

Das ist einfach: Der Haufen Unrat erscheint ungeordnet, hingeworfen, weil Unrat eben unbeachet ausgeschüttet wird, aber genau hingesehen, besitzt er eine Ordnung, jedes Ding des Unrats fällt an seinen Platz, gesetzmäßig, wir müssen das nur erkennen. Denn er ist Teil des Kosmos, und der erscheint noch ungeheuer viel geordneter, denkt man an den Lauf des Mondes und der Sonne. Und in einem solchen unfaßbaren Verhältnis stehen nun Kosmos und X, und da kann das X nur noch der unerreichbare Sinn, der umfassende Sinn des ganzen sein: Gott oder umfassender Kosmos, kurz das IST und NICHT IST des Parmenides. Hieran gefällt mir, daß Heraklit nicht arrogant seinen Vordenkern die Einsichten abspricht, sondern diese ernst nimmt und sie in sein Weltbild aufnimmt. Das ist vernünftig. Es zeigt, daß Heraklit sich und seine Sicht nicht überschätzt und durchaus die Fähigkeiten des Menschen zurechtstutzt: Wenn der Mensch die Welt verstehen will, dann soll er die Bewegung verstehen, d.h. das Gesetz des Veränderns erfassen, aber nie wird er wie Gott sein und das IST begreifen. Nochmal: Obwohl das IST, der ganze umfassende Sinn, nicht erreichbar sein wird, können wir dennoch den unbelebten Kosmos gesetzmäßig beschreiben. Es ist mir unklar, ob Heraklit auch daran dachte, daß sich selbst der unbelebte Kosmos einer endgültigen Beschreibung entzieht, wobei mir das fast konsequent erscheint. Solange die Vereinigung von Bewußtsein und Bewegungsgesetz, (die sich ja widersprechen, zumindest in meiner Auffassung von freiem Willen) nicht vollzogen ist und nach Heraklit nicht vollziehbar ist, wird auch die Erkenntnis über das wahre Bewegungsgesetz sich verändern, verfeinern, genauso wie wir es in der Physik ja erleben. Hier ist ein Fragment des Heraklit, das erhellt (Wort steht hier für Logos, für das Gesetzmäßige, denke ich):Für dieses mein Wort indessen, das immer schon da ist, kommen die Menschen nicht zum Verständnis, weder bevor sie es hörten, noch sobald sie es gehört haben.

Ich springe jetzt noch zu den Atomisten (Leukipp und Demokrit), die zeitlich und logisch nach Heraklit kommen und von denen man denken kann, daß sie auf Parmenides zurückgreifen und Heraklit außer Acht lassen. Aber das wäre fatal, es ist einfach nur so, daß sie alles verarbeitet haben. Es ist ganz klar, daß man, um Bewegung zu beschreiben, sagen muß, Bewegung wovon, also muß man etwas benennen was sich da bewegt (nicht das große IST des Parmenides): Atome. Das waren also Physiker der Neuzeit, nur durch und durch griechisch. Damit meine ich, daß sie sich den Grenzen, die ihnen Heraklit gesetzt hat, bewußt waren. Physik ist immer noch die heilige Schau, mit Betonung auf das Schauen. Aber die ganze Problematik des Parmenides und des Heraklit, das Erklären aus der Vernunft heraus, aus der Überzeugung heraus, daß der Kosmos durch die heilige Schau--durch das denkende Erfassen--begreifbar ist, ist vom Wesen her angreifbar. Da steht der folgende überlieferte Dialog zwischen Verstand und den Sinnen, der von manchen als fragmentarisch angesehen wird, aber ich meine, daß darin alles gesagt wird, was zu sagen ist. Treffender und kürzer konnte es Demokrit gar nicht sagen.

Verstand: Scheinbar ist Farbe, scheinbar Süße, scheinbar Bitterkeit, in Wahrheit nur Atome und leerer Raum.

Sinne: Armer Verstand, von uns nimmst du deine Beweisstücke und willst uns damit besiegen. Dein Sieg ist dein Fall.

Es steht darin das Wort ,,Wahrheit``, was anmaßend klingt, aber es wird von den Sinnen relativiert, und damit scheint es mir in Ordnung. Jetzt haben wir genügend Einsicht, um zu den Fragen zu kommen.


next up previous
Next: 1. Frage Up: Gedanken über das Previous: 3 Fragen

D. Duerr
Mon Jun 5 10:09:09 MET DST 2000