Mathematik als Hochtechnologie



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Mathematik als Hochtechnologie

Man wird sich fragen, ob denn der oben genannte Umgang mit hieroglyphenartigen Symbolen überhaupt in den Bereich der Mathematik fällt, ob die Mathematik sich nicht zuvörderst mit Zahlen und Berechnungen befaßt. Es gibt zumindest ein Beispiel, das allgemein bekannt ist, die Geometrie. Bei der Geometrie geht die Mathematik mit Symbolen um, mit geometrischen Figuren, und manipuliert sie nach vorgegebenen Regeln, wobei in vielen Fällen überhaupt keine Berechnungen durchgeführt werden.

Die Mathematik ist also nicht nur die Wissenschaft des numerischen Erfassens von Erscheinungen, sondern viel allgemeiner die Wissenschaft vom Umgang und von der Umformung von Symbolen nach vorgegebenen Regeln. Man kann sie daher auch nur schwer in das System der Wissenschaften einordnen, sie ist sowohl Geisteswissenschaft mit ihrer grundlegenden Verwendung der Logik als auch Naturwissenschaft mit ihren Berechnungen in der Technik und den Naturwissenschaften.

Die Anwendungsbereiche der Mathematik sind ständig am Wachsen. Numerische Rechnungen, wie sie über Jahrhunderte im kaufmännischen Leben verwendet wurden, sind erweitert worden durch Berechnungen in allen Gebieten der Technik, durch das Erfassen der geometrischen Struktur des Weltalls, durch Algorithmen zur Verschlüsselung von Nachrichten, übrigens auch mit Hilfe von Primzahlen, um nur einige Anwendungen zu nennen.

Dabei sind die Mathematiker immer wieder davon überrascht, daß ihre Vorausberechnungen von Vorgängen in der Natur so hervorragend mit den tatsächlich gemessenen Ergebnissen übereinstimmen. Warum bewegt sich die Erde auf einer vorausberechenbaren Planetenbahn, warum stimmt der Auftrieb von Tragflächen mit den berechneten Werten überein, warum lassen sich Brücken mit vorgegebener Tragkraft vorausberechnen?

Die Natur gehorcht gewissen Gesetzen, und wir haben gelernt, diese Gesetze in mathematischer Symbolik auszudrücken. Es muß also zunächst die naturwissenschaftliche Forschung das mathematische Gesetz erkennen, nach dem sich gewisse Vorgänge richten, es müssen dann aber auch die mathematischen Regeln entwickelt und beherrscht werden, mit denen aus dem allgemeinen Gesetz Lösungen für spezielle Probleme bestimmt werden können.

Es ist dabei ein großes mathematisches Problem, das richtige mathematische Gesetz für eine Anwendung zu finden. Ein Beispiel, wo ein solches Gesetz nicht adäquat gefunden worden ist, obwohl das Problem sehr einfach ist, ist das folgende.

Der Bundesfinanzhof hat 1986 folgenden Berechnungsmodus zur anteiligen Berechnung der Unkosten für ein Arbeitszimmer beschlossen: um den Prozentsatz dessen, was man von den Gesamtausgaben für seine Wohnung oder sein Haus für das Arbeitszimmer absetzen kann, zu bestimmen, soll man die Fläche des Arbeitszimmers durch die Fläche der verbleibenden Wohnräume teilen. Diese Regelung war zwar für den Steuerzahler recht vorteilhaft, hat aber das gestellte Problem in keiner angemessenen Weise in eine mathematische Formulierung übersetzt. Bei einem Arbeitszimmer, etwa einem Atelier, von 60 qm und sonstigen Wohnräumen von 40 qm ergäbe sich eine Absetzungsrate von 150%, d.h. man könnte das 1 1/2 -fache seiner Ausgaben für die Gesamtwohnung steuerlich absetzen.

Natürlich ist der Einsatz mathematischer Methoden bei Problemen der Technik und der Wissenschaften nicht immer so einfach zu überprüfen wie in diesem Beispiel.

Daß diese Aufgabe der Mathematik, dem Menschen zu helfen seine Umwelt durch Vorausberechnungen zu verstehen und damit auch zu beherrschen, uns auch an all die Probleme heranführt, die moderne Technologie nach heutiger Sicht mit sich bringt, ist offensichtlich. In einem berühmten Report, dem Davis Report, erstellt für die amerikanische Regierung, steht das in knappster Form: ``Hochtechnologie ist Mathematik''. Die Amerikaner haben das genau erkannt und haben in den letzten Jahren große Anstrengungen gemacht, um diese Grundlage der zukünftigen Entwicklung zu erhalten und zu stärken. Ebenso wird in Frankreich und in besonderem Maße auch in Japan die Mathematik in großem Umfang gefördert.

Wir leben heute in einer Welt, in der mehr und mehr Probleme und ganze Wissenschaftsgebiete quantitativ behandelt werden. Die Mathematik dringt in immer neue Bereiche ein. Die Ökonomie hat in den letzten Jahrzehnten massiv mathematische Methoden eingesetzt. Viele Nobelpreise in Ökonomie sind für Arbeiten vergeben worden, die primär mathematische Methoden verwendeten. Die technischen Fächer ebenso wie die Physik, Astronomie und das moderne Massenfach Informatik sind heutzutage ohne moderne Mathematik nicht mehr denkbar. Aber auch die Biologie, die Medizin, die Philosophie oder die Psychologie verwenden mehr denn je mathematische Methoden. Ein Beispiel dafür ist der Medizin-Nobel-Preis für den Physiker McCormack, der die Mathematik für die Computertomographie entwickelt hatte, aufbauend - wie schon erwähnt - auf tiefliegenden mathematischen Resultaten des Mathematikers Radon, der in diesem Zusammenhang leider auch heute noch nur den Spezialisten bekannt ist.

Auf all diesen Gebieten muß ein adäquates Modell für die zu beherrschenden Sachverhalte gefunden werden. Man denke an das sehr einfache Ohmsche Gesetz U = R I als ein Modell über das Verhalten von Strömen und Spannungen in einem Widerstand. Es geht prinzipiell bei einem mathematischen Modell um eine geeignete Übersetzung realer Daten, der Voraussetzungen für ein Experiment, in einen geeigneten mathematischen Formalismus, dessen Rechenregeln wir beherrschen, und sodann um die Rückübersetzung errechneter Daten und ihren Vergleich mit den gemessenen Werten. Heute werden viele Experimente, zum Beispiel die Untersuchungen über den Luftwiderstand eines Fahrzeugs, nicht mehr im Experiment durchgeführt, sondern im Computer errechnet, weil man ein genügend bewährtes Modell hat und weil man in diesem Modell Berechnungen durchführen kann. Für diese Modelle wird laufend neue Mathematik entwickelt. Es entwickeln sich sogar immer wieder neue Bereiche der Mathematik. Die lineare Programmierung und Optimierung ist erst in diesem Jahrhundert entstanden und beherrscht umfangreiche Anwendungsgebiete in der Wirtschaft. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit schreitet die Forschung auf diesen Gebieten in Riesenschritten weiter.


Hauber
Wed Nov 20 16:14:16 MET 1996