Mathematik, eine internationale Sprache



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Mathematik, eine internationale Sprache

Die Aufgabe der Mathematik ist ein Thema von internationaler Dimension. Tatsächlich versteht ein Mathematiker mathematische Sätze und Probleme über Sprachgrenzen hinweg in gleicher Weise. So kommen Lösungen, die nahezu identisch sind, für offene Probleme oft gleichzeitig aus sehr weit voneinander entfernten Gegenden der Welt. Ein Mathematiker kann häufig auch Publikationen in den verschiedensten Sprachen verstehen, ohne die entsprechenden Sprachen zu beherrschen. Die Formelsprache und Symbolik der Mathematik ist international verständlich.

Daher muß auch jeder Mathematiker zu den meisten der überall in der Welt erscheinenden Publikationen Zugang haben, damit er die neuen Ergebnisse in seine Forschung einbauen kann. Die Öffentlichkeit steht oft etwas verständnislos gegenüber der Behauptung, daß in der Mathematik laufend neue Ergebnisse und neue Sätze bewiesen werden. Tatsächlich haben sich die mathematischen Kenntnisse ebenso wie die der übrigen Naturwissenschaften in den letzten 100 Jahren explosionsartig vergrößert. Man kann nachzählen, daß im Jahre 1995 ungefähr 50000 mathematische Publikationen mit etwa 100000 neuen Sätzen erschienen sind. Die noch nicht gelösten Probleme und die neuen Erkenntnisse sind jedoch der breiten Öffentlichkeit schwer vermittelbar, da man meist ein 10-semestriges Studium benötigt, um die Begriffe und Grundlagen für das Verständis der Problemstellungen zu erwerben. Ich muß darauf an dieser Stelle verzichten. Ob die neuen Sätze dann ihre Anwendungen in tieferer Erkenntnis der innermathematischen Zusammenhänge finden oder in neuen Berechnungen in der Technik, wird sich oft erst lange Zeit nach Ihrem Auffinden herausstellen. Die tiefliegenden Sätze des ungarischen Mathematikers Radon wurden circa 50 Jahre später beispielsweise zur Grundlage der Computertomographie.

In keinem Land der Erde ist es so schick, wie bei uns, zu behaupten, man habe nie etwas von Mathematik verstanden (ein spätes Goethesches Erbe). In meinen Augen ist das genauso, wie wenn man sich als Analphabeten bezeichnet und stolz darauf ist. Im Amerikanischen gibt es die beiden Bezeichnungen illiterate und innumerate, des Lesens unkundig und des Rechnens unkundig. Sicher ist es nicht jedem gegeben, Gedichte wie Goethe zu schreiben, ja nicht einmal sie in ihrer Tiefe, in ihren Gefühlen und ihrer Bedeutung ganz zu verstehen, - so ist es auch nicht jedem möglich, über die einfachen Rechenvorschriften (wie sie uns von dem bekannten mittelalterlichen Rechenmeister Adam Ries überkommen sind) hinaus komplizierte mathematisch formulierte Gesetzmäßigkeiten seiner Umgebung zu verstehen oder gar praktisch anzuwenden.

Auch wenn man in der Öffentlichkeit meint, ein Zitat von Böll gehöre zur Bildung - eine Formel wie das Ohmsche Gesetz oder die Heisenbergsche Unschärferelation wird oft als überflüssig oder zumindest unverständlich abgetan. In unserer heutigen Kultur muß das Bemühen um beides, um die Literatur und um das Verständnis der mathematischen Gesetze, die unsere Welt steuern, eine Sache der Bildung, ja der Allgemeinbildung, sein. Schon die griechischen Philosophen vertraten die Ansicht, daß die Mathematik die Königin der Wissenschaften noch vor der Philosophie und anderen Wissenschaften ist.


Hauber
Wed Nov 20 16:14:16 MET 1996