Mathematik als Kulturgut und Geisteswissenschaft



next up previous contents
Next: Mathematik, eine internationale Sprache Up: 25 Jahre Fakultät Previous: 25 Jahre Fakultät

Mathematik als Kulturgut und Geisteswissenschaft

25 Jahre - ein Vierteljahrhundert - besteht die Fakultät für Mathematik an der Universität München. Ein Jubiläum, ein Grund zum Feiern, aber nicht nur - auch ein Anlaß, einmal etwas über die bisherige Entwicklung und die Bedeutung des Faches Mathematik nachzudenken.

Mathematik ist ein Jahrtausende altes Kulturgut. Schon aus den ältesten Kulturen sind uns zusammen mit den Schriftzeichen auch Dokumente mathematischer Berechnungen überliefert. Ja, die Entzifferung der Hieroglyphen gelang oft erst über ihre Zuordnung zu Berechnungen und durch nachträgliches Nachrechnen.

Sie kennen einfache Beispiele aus den Rätselseiten der Zeitschriften, wo Gleichungen mit hieroglyphenartigen Symbolen, wie Dreiecken, Kreisen und ähnlichen angegeben werden und Zahlen eingesetzt werden müssen, so daß alles stimmt. So, nur in vielfach komplizierterer Weise, ging man bei Entzifferungen von alten Schriften vor.

Die ersten Schriftdokumente und die ersten überlieferten Rechenverfahren (Kalender, Buchführung, Berechnung von Bauwerken) sind in allen Kulturen im wesentlichen gleichzeitig entstanden. Viel früher in der Geschichte, aber wohl auch gleichzeitig, dürfte das zahlenmäßige Erfassen von Zusammenhängen und die Sprache entstanden sein.

Mit Berechnungen will der Mensch Vorgänge in seiner Umwelt quantitativ erfassen, mit der Sprache erfolgt die qualitative Beschreibung der Umgebung. Mehr noch, mit der quantitativen Erfassung ergibt sich der Wunsch nach und auch die Möglichkeit von nachprüfbaren Voraussagen.

So ist das alte Kulturgut Mathematik, mindestens in gleichem Maße wie die Kunst des Lesens und Schreibens, fundamental für die Erziehung des Menschen und Grundbaustein unseres modernen Lebens. Qualitativ Erfaßbares bleibt im Bereich des durch das Wort Beherrschbaren, quantitativ Erfaßbares und daher gewissen Gesetzen Folgendes wird adäquat mit mathematischen Methoden beschrieben.

Interessant ist die Beobachtung, daß die Mathematik auch eine ästhetische Komponente hat. Die Schönheit eines Beweises oder eines Satzes oder auch einer Definition beruht jedoch nicht oder nur unwesentlich auf der Art der Formulierung oder Darstellung, sie hängt vielmehr von dem Auftauchen neuer, überraschender Ideen und Einsichten ab, von der Darstellung von Zusammenhängen, die zunächst verborgen waren.


Hauber
Wed Nov 20 16:14:16 MET 1996