Graduiertenkolleg ,,Mathematik im Bereich ihrer Wechselwirkung mit der Physik``



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Graduiertenkolleg ,,Mathematik im Bereich ihrer Wechselwirkung mit der Physik``

1. Sprecher: Prof. Dr. M. Schottenloher (Mathematik)
2. Sprecher: Prof. Dr. H. Spohn (Physik)



Forschungsprogramm

Das wissenschaftliche Programm des Graduiertenkollegs ,,Mathematik im Bereich ihrer Wechselwirkung mit der Physik`` ist die Erforschung mathematischer Strukturen, die bei der Formulierung von theoretischen Modellen der Physik zum Tragen kommen.

Das angestrebte Forschungsprogramm wird in den folgenden vier Arbeitsschwerpunkten realisiert:

Differentialgleichungen und Funktionalanalysis
(Batt, Kalf, Lortz, Steinlein)

1) Theorie der Grundgleichungen der Astrophysik, der Plasmaphysik und der allgemeinen Relativitätstheorie (Batt). Globale Existenz, Eindeutigkeit und Stabilität von Lösungen des Vlasov-Poisson-, Vlasov-Maxwell-, und Vlasov-Einstein-Systems partieller Differentialgleichungen. Zusammenarbeit mit Kalf, Wienholtz, der Arbeitsgruppe von Ehlers (jetzt Potsdam) und mit Lortz am MPI für Plasmaphysik.

2) Spektraltheorie von elliptischen Differentialoperatoren (Schrödingeroperatoren) im Zusammenhang mit der Quantenmechanik, quasilineare elliptische Gleichungen und hyperbolische Systeme von partiellen Differentialgleichungen (Kalf, Wienholtz). Semilineare Gleichungen spielen u. a. bei der Konstruktion von stationären Lösungen der Differentialgleichungssysteme aus 1) die entscheidende Rolle.

3) Nichtlineare Funktionalanalysis und dynamische Systeme (Steinlein). Die Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der nichtlinearen Funktionalanalysis, der Dynamischen Systeme (mit H.-O. Walther, jetzt Gießen) mit Arbeiten zu Hyperbolischen Mengen und dem ,,Beschattungslemma`` und bei diskreten dynamischen Systemen, insbesondere die Betrachtung der Mengen (fast-) periodischer Punkte.

Differentialgeometrie, Komplexe Analysis, Stringtheorie, allgemeine Relativitätstheorie
(Maison, Schottenloher, Theisen)

1) Der mathematische Rahmen sowohl der Stringtheorie als auch vieler Probleme in der statistischen Mechanik ist die (zweidimensionale) konforme Feldtheorie. Untersucht wird hier insbesondere die Verlinde-Formel und der Zusammenhang zwischen physikalischer Motivation und (rigorosen) mathematischen Beweisen.

2) Inspiriert von (physikalischen) Quantenfeldtheorien sind die sogenannten Topologischen Quantenfeldtheorien (TQFTs), (abstrakte) mathematische Objekte, in deren Definition charakteristische Eigenschaften von Quantenfeldtheorien (z.B. das multiplikative Verhalten des Pfadintegrals) axiomatisiert werden. Von besonderem Interesse sind hier die sogenannten Chern-Simons-Theorien (spezielle dreidimensionale TQFTs), in deren Rahmen (algebraische) Knoteninvarianten, wie z.B. das Jones-Polynom ,,physikalisch interpretiert`` werden können. Diese Zusammenhänge und die rigorose mathematische Konstruktion sind ebenso Gegenstand unserer Forschung wie die algebraischen und topologischen Aspekte der umfangreichsten bislang bekannten Klasse von Knoteninvarianten, der Vassiliev-Invarianten.

3) Untersuchung von Kähler- und Hyperkählermannigfaltigkeiten sowie der Modulräume verschiedener geometrischer Strukturen, unter anderem im Zusammenhang mit 1).

4) Stringtheorien sind vielversprechende Kandidaten für eine Theorie aller Teilchen und Wechselwirkungen. Untersucht werden speziell algebraisch-geometrische Fragestellungen (Stichworte: Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten, mirror symmetry).

5) Allgemeine Relativitätstheorie, hier insbesondere die Fragestellung nach der Beschreibbarkeit von Punktteilchen im Rahmen der Einsteinschen Gravitationstheorie. Untersuchung teilchenartiger Lösungen der Einsteinschen Gleichungen.

Quantengruppen und Nichtkommutative Algebra
(Pareigis, Schneider, Wess)

1) Zusammenhang zwischen Darstellungen von Zopfgruppen, Quasi-Symmetrien in monoidalen Kategorien, Lösungen der Quanten-Yang-Baxter-Gleichung, Quasitrianguläre Hopf-Algebren (als Symmetriegruppen), niederdimensionale topologische Quantenfeldtheorien. Als Komplement hierzu in der Physik: statistische Mechanik, Theorie der Anyonen, (Quantenkommutativität, Vektor-Symmetrie, R-Matrix, Band-Graphen und Tannaka-Krein-Dualität).

2) Algebraische Struktur der Quantengruppen und ihrer homogenen Räume (Fadeev, Reshetikhin, Takhtadzhyan 1988), sowie der Hauptfaserbündel mit einer Quantengruppe als Strukturgruppe und der verschränkten Produkte von Quantengruppen. Quanten-Deformationen und Verallgemeinerungen von Quantengruppen, z. B. Quasi-Hopf-Algebren (im Sinne von Drinfel'd).

3) Es bedingen sich gegenseitig die Operation der Quantengruppe auf einem Quantenraum und eine Differentialrechnung auf dem Quantenraum. Hier haben erste Untersuchungen stattgefunden, um die von Manin, Wess, Woronowicz, Zumino und anderen stammenden Ansätze algebraisch zu verarbeiten und durch gewisse universelle Moduln zu erfassen.

Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistische Physik
(Dürr, Georgii, Spohn)

Das zentrale Problem der Statistischen Physik ist die Erklärung des makroskopischen Verhaltens von Systemen aus dem mikroskopischen Verhalten ihrer Bausteine. Da eine solche Erklärung notwendigerweise stochastischer Natur ist, besteht eine fundamentale Beziehung zwischen Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistischer Physik. Wahrscheinlichkeitstheoretische Methoden sind unverzichtbar für die Statistische Physik, und Konzepte der letzteren (wie z.B. die Entropie) sind zum festen Bestandteil der Stochastik geworden.

1) Untersuchung von Vielteilchensystemen im thermodynamischen Gleichgewicht, Theorie der großen Abweichungen, Äquivalenz der Gibbsschen Ensembles im Sinne der asymptotischen Äquivalenz der Maße. Innerer Zusammenhang zwischen Phasenübergängen für Teilchensysteme und gewissen stetigen Perkolationsmodellen (Georgii).

2) Nichtgleichgewichtstheorie, Herleitung von Transportphänomenen aus mikroskopischen Teilchenprozessen, Theorie der Diffusionsprozesse und der großen Abweichungen. Die resultierenden Transportgleichungen stehen im engen Zusammenhang mit den Gleichungen, die in Schwerpunkt Differentialgleichungen und Funktionalanalysis untersucht werden (Georgii, Spohn).

3) Bohmsche Mechanik, Ableitung des Operatorformalismus der Quantenheorie als phänomenologische Beschreibungsebene, Erweiterung auf relativistische Teilchen- und Feldtheorien (Dürr).

Organisation und Aufbau

Unser Kolleg, bestehend aus Trägern, Stipendiaten (mit monatlichem Stipendium) und Kollegiaten, wird nach außen durch zwei Sprecher vertreten. Es werden für die Mitglieder des Kollegs und Interessenten regelmäßig Vorlesungen, Kolloquien, Sommer- und Winterschulen und Blockveranstaltungen abgehalten. Oft sind Gäste für längere Zeit am Kolleg tätig, und es besteht ein großes Angebot an Gastvorträgen. Eine Darstellung des Kollegs findet sich im World Wide Web (WWW), in dem auch eine Liste der verfügbaren Preprints und Veröffentlichungen zu finden ist.

Die Zusammenarbeit der Gruppen erfolgt u.a. durch die Abhaltung übergreifender Seminare, z. B. Pareigis-Wess und Dürr-Spohn. Dissertationen können nun auch von je einem Physiker und einem Mathematiker betreut bzw. referiert werden.

Als besonderes günstig hat sich erwiesen, daß Reisen von Stipendiaten und Kollegiaten zu Kongressen und auch mittelfristige Auslandsaufenthalte relativ unproblematisch genehmigt werden, was sich in der Qualität der Arbeiten niederschlägt und häufig zum Knüpfen wichtiger Kontakte führt. Dissertationen können nun auch problemlos auf Englisch verfaßt werden.

Die auf drei Jahre befristeten Stellen für Stipendiaten (1600 DM pro Monat) und die auf zwei Jahre angelegten Postdoc-Stellen (ca. 2700 DM pro Monat) werden in der Regel öffentlich ausgeschrieben, Kandidaten werden zu Probevorträgen eingeladen und in Sitzungen der Träger, an denen auch Vertreter der Kollegiaten teilnehmen, ausgewählt.

Voraussetzung für das Gelingen der Veranstaltungen und Aktivitäten ist - so stellen alle Graduiertenkollegs übereinstimmend fest - die aktive und intensive Beteilgung der KollegiatInnen an der Gestaltung des Studien- und Gastwissenschaftlerprogramms sowie der Aufbau eines informellen Netzes, das zur Unterstützung der alltäglichen Forschungsarbeit von großem Wert ist.

Wir verwenden seit längerem das im Haus bestehende Rechnernetz zum Informationsaustausch und zur Verwaltung des Kollegs (email-Adresse: gkadmin@rz.mathematik.uni-muenchen.de). Dabei konnten sich die KollegiatInnen auch Kenntnisse und Fähigkeiten im organsiatorischen Bereich aneignen, die bei der späteren Stellensuche sicher von Vorteil sind. Zusätzlich zu dem jeden zweiten Freitag stattfindenden Graduiertenkolloquium werden regelmäßige informelle Treffen und ein spezielles Doktorandenseminar - das ,,WARUM?-Seminar`` - gepflegt, in dem das wechselseitige Verständnis für die jeweiligen Arbeitsbereiche vertieft wird, und an dem auch externe Interessenten teilnehmen. Das Kolleg fungiert auch als Informationspool, z.B. bezüglich Stellenmarkt und Bewerbungstips, und kann manchmal über den Rahmen des eher dürftigen Stipendiums hinaus besondere Leistungen finanziell zu vergüten.

Kritisch zu sehen ist die katastrophal niedrige Bezahlung der Stipendiaten, die ebenso wie die Postdocs formal als ,,Selbständige`` gelten und sich daher nicht gegen Arbeitslosigkeit versichern dürfen. In dem Stipendium sind auch keine Sozialleistungen enthalten. Die mittlerweile gesammelten Erfahrungen der Kollegiaten auf der Suche nach Arbeitsplätzen außerhalb der Universität zeigen, daß der Nachweis von Industriepraktika, das Beherrschen mehrerer Programmier- und Fremdsprachen und ein zügig durchgeführtes Studium von entscheidender Bedeutung sind. Ein von den Kollegiaten initiierter Workshop zur Programmiersprache ,,JAVA`` ist ein erster Schritt auf dem Weg zum Aufbau eines zweiten Gleises, das den Einstieg in den außeruniversitären Beschäftigungsbereich erleichtern könnte.

Information auf einen Blick

Stand vom 1.8.1996

WWW: http://www.mathematik.uni-muenchen.de/~ gkadmin/Gradkoll.html
Dauer: Seit 1.4.93. Zweite Bewilligungsphase 1.4.96 - 31.3.99
Träger: J. Batt, D. Dürr, H.-O. Georgii, D. Lortz (MPI für Plasmaphysik, Garching), D. Maison (MPI für Physik, München), H. Kalf, B. Pareigis, H.-J. Schneider, M. Schottenloher, H. Steinlein, H. Spohn (Physik), S. Theisen (Physik), J. Wess (Physik)
Postdoktorand: M. Daumer
Stipendiaten: G. Bauer, P. Braasch, C. Dietz, I. Fassomytakis, F. Halanke, H. Ludwig, B. Meyer, E. Müller, M. Neuchl, Ho Hai Phung, V. Ulm, L. Weikl
Kollegiaten: J. Aldinger, H. Brunke, R. Engeldinger, G. Hess, T. Kriecherbauer, G. Köster, J. Lang, C. Lederer, V. Sandor, P. Schuster, Y. Sommerhäuser, C. Wolf, W. Posch
Abgeschlossene Dissertationen: J. Aldinger, K. Berndl, M. Daumer, R. Engeldinger, G. Hess, G. Köster, W. Posch, M. Pflaum, J. Weckler
Mittlere Promotionsdauer im Kolleg: ca. 3 Jahre
Stellensituation ehemaliger Stipendiaten: K. Berndl (Assistentin im Hause), M. Pflaum (Assistent, Humbold-Universität, Berlin)
Stellensituation ehemaliger Postdocs: H. Pfitzner (DFG-Projekt, Paris), F. Su (Assistentin, Peking), J. Weckler (Allianz, München), M. Kunze (Assistent, Köln)
Preprints: 39 (Stand 5.6.96)
Aufenthalte von Gastwissenschaftlern: 35 (1993), 39 (1994), 47 (1995), insg. ca. 180.000 DM
Durchgeführte Reisen der Kollegiaten: 19 (1993), 24 (1994), 38 (1995), insg. ca. 60.000 DM
Stipendienhöhe: 1600 DM
Stipendiendauer: maximal 3 Jahre


Hauber
Wed Nov 20 16:14:16 MET 1996