Die Humanistische Blütezeit



next up previous contents
Next: Die Zeit der Up: Mathematik an der LMU Previous: Mathematik an der LMU

Die Humanistische Blütezeit

Die heutige Ludwig-Maximilians-Universität München wurde 1472 in Ingolstadt, der ehemaligen Residenzstadt der Herzöge von Bayern-Ingolstadt, gegründet. Vorbild war die 1365 gegründete Universität Wien, bei deren Gründung man sich wiederum nach der um 1200 in Paris entstandenen Universität gerichtet hatte. Charakteristisch war dabei die Gliederung in vier Fakultäten. Die Mathematik gehörte zur ,,Artistenfakultät``, der damaligen Philosophischen Fakultät. Sie umfaßte die artes liberales, die sieben freien Künste. Das sind ursprünglich die einem freien Manne würdigen Künste, bestehend aus dem Trivium Grammatik, Rhetorik und Dialektik und dem Quadrivium Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Erst in späteren Jahrhunderten wurden auch die Sprach- und Geschichtswissenschaften in die Philosophische Fakultät aufgenommen. In der Arithmetik ging es um elementare Zahlenlehre, um grundlegende Algorithmen und etwas kaufmännisches Rechnen; in der Geometrie um die ersten Bücher der Elemente Euklids und um Vermessungsgeometrie, die man unter anderem für die Astronomie benötigte. Das Studium an der Artistenfakultät - also auch das Studium der Mathematik - war als Grundstudium für alle Studenten vorgeschrieben, entsprechend den oberen Klassen der heutigen Gymnasien. Anschließend besuchte man eine der sogenannten ,,höheren`` Fakultäten Theologie, Jurisprudenz oder Medizin.

Die neu gegründete, großzügig ausgestattete Universität erlebte gleich in den ersten Jahrzehnten eine humanistische Blütezeit - mit rund 400 bis 600 Studenten und 40 bis 60 Dozenten. Der Historiker Prantl hält sie sogar für ,,die damals bedeutendste Universität Deutschlands`` [Prantl, Bd.1, S.9]. Dabei wurden, wie zu der Zeit üblich, die Vorlesungen in der Artistenfakultät häufig von Lehrbeauftragten - meist Magistern - gehalten, die selbst Studenten in einer der höheren Fakultäten waren und später Pfarrer, Ärzte oder Juristen wurden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Universität noch mehr eine Einrichtung der Lehre war und eine über die Ausarbeitung von Lehrbüchern hinausgehende Forschung eher im Hintergrund stand.

Für die Universität in Ingolstadt ist bemerkenswert, daß ihr von Beginn an ein Mathematiker angehörte. Der erste Mathematiker Johann Tolhopf (1454-ca.1504), der neben der Mathematik auch Dichtkunst lehrte, war vor allem Theologe. Er war von Anfang an Professor der Universität und wird von Prantl als ,,wohl der bedeutendste`` unter den ersten Lehrern der Artistenfakultät angesehen. Wie später die Mathematiker Siber und Lindemann, war Tolhopf auch zeitweise Rektor der Universität.

1492 wechselte Tolhopf auf eine höher dotierte Stelle als Astronom und Domherr nach Regensburg. Nachdem bereits 1489, gegen Ende der Lehrtätigkeit von Tolhopf, ein mathematischer Lehrauftrag an einen Vertreter ohne akademischen Grad erteilt worden war [Schöner, 5.1], wurde am 1.Mai 1492 erstmals - fast zehn Jahre vor Wien - eine spezielle mathematische Fachprofessur mit planmäßiger Besoldung eingerichtet. Der erste ,,Lector ordinarius für Mathematik und Astronomie``, der dafür angestellt wurde, war Johann Engel (+1512). Er hat eine Reihe astronomischer Schriften verfaßt. Aus dieser Fachprofessur ging dann 1527 der mathematische Lehrstuhl hervor, der mit dem aus Leißnig in Sachsen stammenden Peter Apian (1495-1552) besetzt wurde.

Peter und Philipp Apian sind wohl die bekanntesten Mathematiker aus der Frühzeit der Universität. In den 42 Jahren ihres Wirkens erlebte die Mathematik eine glanzvolle Periode. Peter Apian hatte in Leipzig und Wien studiert. Er folgte nach einer Reihe von Angeboten anderer Universitäten 1527 einem Ruf auf den nun erstmals großzügig ausgestatteten Mathematiklehrstuhl in Ingolstadt. Ein besonderes Anliegen war Peter Apian die Anwendung der Mathematik in der Astronomie und Kartographie. Er veröffentlichte 1520 eine der ersten Weltkarten. Ab 1527 gab er ein Rechenbuch heraus, das ähnlich elementar wie das von Adam Ries war und mehrere Auflagen erlebte. Für seine zahlreichen Schriften reichte selbst die Kapazität seiner eigenen Druckerei nicht immer aus. Auch Regiomontan, Mercator, und Tycho Brahe besaßen eigene Druckereien.

Unter den 14 Kindern Peter Apians erwies sich sein Sohn Philipp (1531-1589) als besonders begabt. Er übernahm 1552 das Ordinariat des Vaters. Philipps Hauptwerk war eine Landkarte Altbayerns, die bis zum 18.Jahrhundert die Grundlage der bayerischen Landesvermessung bildete. Das Konzil von Trient (1545-1563) bewirkte eine verstärkte Polarisierung der Konfessionen und führte an der Universität Ingolstadt zu inquisitorischen Maßnahmen. 1569 mußte Philipp Apian, der wie sein Vater Protestant war, auf Betreiben der Jesuiten Bayern verlassen.


Hauber
Wed Nov 20 16:14:16 MET 1996